TEN-V und militärische Logistik und Verfügbarkeit am Beispiel des ScanMed-Korridors und seiner aktuellen Teilprojekte

Vorbemerkung der Autor:innen

Wir stehen am Beginn eines neuen Zeitalters der Kriege. Kriege zwischen transnationalen Machtblöcken, Kriege zwischen existierenden und werdenden Nationalstaaten und Kriegen gegen fliehende, ebenso wie aufmuckende Bevölkerungen. Kriege um strategische Ressourcen, Kriege um Nahrung und Wasser, Kriege um geostrategische Machtkonstellationen und territoriale Ansprüche. Doch egal worum sich die Kriege der Gegenwart und Zukunft auch drehen mögen, wir lehnen es entschieden ab, uns darin irgendeiner Partei anzuschließen, da jeder Krieg sich ausschließlich gegen die Ausgebeuteten und Unterdrückten dieser Welt richtet und bloß den Mächtigen nützt, ihren Reichtum und ihre Herrschaft über das Leben zu mehren. Daraus kann jedoch nicht folgen, dass wir passiv dabei zusehen werden, wie die Herrschenden das Gemetzel vorbereiten, Genozide und Massaker begehen und Zerstörung und Elend über die Menschen und das Leben selbst bringen. Wenn auch klar ist, dass wir niemals die Waffen auf Befehl der HERREN aufeinander richten werden, so wird uns doch nichts auf der Welt daran hindern, mit unseren eigenen Waffen gegen die schiere Möglichmachung des Krieges, gegen die nationalistische Propaganda, den militärisch-industriellen Prozess des fortschreitenden Genozids, sowie nicht zuletzt die schiere Infrastruktur des Krieges zu kämpfen. Und eben jene Infrastruktur des Krieges, bzw. die heutige, moderne „dual use“-Infrastruktur der „friedlichen“ Ausbeutung von Mensch und Natur wie auch der militärischen Zerstörung selbiger, wollen wir in diesem Beitrag anhand des Beispiels des sogenannten ScanMed-Korridors (Skandinavien-Mittelmeer Korridors) als einer der wichtigsten Infrastruktur-Transportachsen der EU und einigen seiner aktuellen Teilprojekte zu Ausbau und Ertüchtigung in den Blick nehmen. Damit wollen wir nicht etwa einmal mehr aufzeigen, dass der Kampf gegen den Krieg immer auch den Kampf gegen die „friedliche“, d.h. reibungslose, Ausbeutung und Zerstörung, gegen das industrielle und koloniale Projekt also, beinhaltet, sondern wollen vielmehr einen kleinen Beitrag dazu leisten konkrete Angriffspunkte in diesem Kampf aufzuzeigen und zugleich dazu zu ermutigen, eigene Analysen des militärisch-industriellen Komplexes, seiner Rohstoffe und seiner Logistik anzustellen, mit nichts geringerem im Sinne als seiner effizienten Sabotage. Denn wir vermissen eine solche Analyse umso schmerzlicher, als dass wir der Auffassung sind, dass unsere Fähigkeit die Herrschaft (und ihre Kriege) zu bekämpfen unumstößlich davon abhängig ist, dass wir ihre Infrastrukturen kennen, ihre Funktionsmechanismen verstehen und nicht zuletzt auch die notwendigen Fertigkeiten und eine gewisse Routine darin besitzen, diese an ausgemachten Schwachstellen anzugreifen.

Das Transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V)

Das transeuropäische Verkehrsnetz (TEN-V oder auch TEN-T für Transeuropäisches Transportnetz) ist ein von der EU geplantes Netz an Straßen-, Schienen-, Luft- und Wasserwegen innerhalb ihrer Mitgliedsländer, das den schnellen und reibungslosen Transport von Waren, Rohstoffen, teils auch Energie(trägern) und schließlich, oftmals nicht genannt, in den Strategiepapieren jedoch maßstabsetzend, militärischer Ausrüstung, Versorgung und Truppen über Ländergrenzen hinweg gewährleisten soll. Es besteht dabei aus einem Kernnetz, das wiederum vor allem von neun sogenannten multimodalen Kernnetzkorridoren über das gesamte Territorium der EU aufgespannt wird. Diese Korridore verbinden beispielsweise den Nordseeraum mit dem Mittelmeerraum, die Ostsee mit der Adria, die Mittelmeermetropolen in West-Ost-Richtung, verlaufen entlang von Rhein und Donau oder der Atlantikküste. Sie sind multimodal, was heißt, dass sie mindestens aus Straßen- und Schienenwegen, oft zusätzlich auch – oder zumindest teilweise – aus Wasserwegen bestehen, dass sie Flughäfen und Hochseehäfen über den Landweg anbinden, sprich: sollte eine Beförderungsart ausfallen oder Verzögerungen mit sich bringen, so soll diese einfach und unkompliziert durch einen parallel verlaufenden Beförderungsweg entlang der selben Transportachse ersetzt werden können. Nicht ganz zufällig ist diese Redundanz der Beförderungswege, diese multimodalität, eine Anforderung für militärische Transportachsen die der Bewegung von Truppen und deren Ausrüstung und Verpflegung dienen, ebenso wie auch die Eignung für Achslasten über 22,5 t auf etwa 94% der Strecke, immerhin wurde diese militärische Nutzbarkeit seitens der EU und ihrer Mitgliedsländer von Anfang an mitbedacht.

Der ScanMed-Korridor

Der ScanMed-Korridor, also der Transportkorridor, der die skandinavischen Länder mit dem Mittelmeer verbindet ist der längste Kernnetzkorridor im Transeuropäischen Verkehrsnetz (TEN-V) und er verläuft von Oslo und Helsinki über Rostock – Berlin – Leipzig / Hamburg – Bremen – Hannover, Nürnberg – München – Innsbruck (Brenner) – Verona – Bologna – Florenz – Rom – Neapel – Palermo bis nach Malta. Er kreuzt dabei den Nord-Ostsee-Kernnetzkorridor in Bremen, Hannover, Berlin und Hamburg, den Mittelmeer-Kernnetzkorridor in Verona, sowie den Rhein-Donau-Korridor in München und Regensburg. Zudem bindet er unter anderem die Seehäfen Hamburg, Göteburg, Bremen, Rostock, die Flughäfen München, Berlin, Leipzig, Hamburg an die Transportwege zu Lande an. Rund 1100 Güterzüge Waren verlassen den Hafen Hamburg jede Woche entlang des ScanMed-Korridors in Richtung Inland. Umgekehrt verbindet dieser Korridor die meisten größeren und mittleren Mittelmeerhäfen Italiens über den Brennerpass vor allem mit Deutschland. Hier erlaubt er eine mehrtägige Zeitersparnis beim Transport von Gütern aus oder in den sogenannten Fernen Osten, wenn diese auf dem Landweg abgewickelt werden können, anstatt den Seeweg über den Hamburger Hafen zu nehmen. Was dabei für Güter „ziviler“ Bestimmung gilt, gilt dank der „dual-use“-Strategie im Bereich der Infrastruktur auch für militärische Güter und Truppen. So verbindet der ScanMed-Korridor nicht bloß die Nordsee-Marinestützpunkte der Bundeswehr mit den Mittelmeerhäfen Italiens, sondern ermöglicht auch die Truppenverlegung und Materialverschiebungen über einige der West-Ost-Achsen auszubalancieren. So erinnern wir uns beispielsweise noch gut daran, wie US-Militärgerät, das im Rahmen der NATO-Übung „Defender 2020“ etwa in Häfen wie Palermo oder Bremerhaven landete, genau diese Routen zu den jeweiligen US-Stützpunkten vor allem in Deutschland nahm, von wo aus es dann in Richtung Polen hätte aufbrechen sollen, wäre die Übung nicht abgebrochen worden. Aus militärischer Sicht ebenfalls kaum verzichtbar ist der ScanMed-Korridor auch hinsichtlich der deutschen Rüstungsindustrie und ihrer Versorgung mit Rohstoffen und Halbprodukten, in „Friedenszeiten“, ebenso wie im Kriegsfall. Gerade die in der Metropolregion München/Ingolstadt/Augsburg ansässige Rüstungsindustrie, ebenso wie das bei Burghausen/Burgkirchen/Trostberg/Waldkraiburg gelegene, rüstungs- und für die Ölversorgung des Südens Deutschlands relevante, bayerische Chemiedreieck wickeln ihre Logistik hauptsächlich und „notgedrungen“ (da weitestgehend alternativlos) entlang dieses Korridors ab.

Aktuelle Flaschenhälse und entsprechende Ausbauvorhaben

Die beiden bedeutendsten Flaschenhälse des ScanMed-Korridors liegen derzeit am Brenner, sowie am Fehmarnbelt und sie betreffen insbesondere den Bahnverkehr. Am sogenannten Fehmarnbelt verkehren Kraftfahrzeuge und Züge auf der sogenannten „Vogelfluglinie“, der direktesten Verbindung zwischen den Metropolen Kopenhagen und Hamburg, eine etwa 19 Kilometer lange Strecke zwischen der deutschen Insel Fehmarn und der dänischen Insel Lolland bislang per Fähre. Durch den sogenannten Fehmarnbelttunnel, der als Straßen- und Eisenbahntunnel mit 4 Röhren für den Verkehr, sowie einer Rettungs- und Wartungsröhre bis zum Jahre 2029 errichtet werden soll, soll dieser Streckenabschnitt zukünftig ertüchtigt und der durch den Fährbetrieb entstehende Flaschenhals damit beseitigt werden. In diesem Zuge soll und muss auch die Fehmarnsundbrücke, die die Verbindung zwischen deutschem Festland und Fehmarn herstellt durch einen weiteren Meerestunnel, den Fehmarnsundtunnel ersetzt werden, der zeitgleich entstehen soll, um das wachsende Verkehrsaufkommen und insbesondere die 835 Meter langen Güterzüge, die dort dann verkehren sollen, aufnehmen zu können.

Der zweite bedeutende Flaschenhals des ScanMed-Korridors liegt in den Alpen, genauer gesagt, am Brennerpass. An einer der bedeutensten Alpenquerungsrouten Europas stellt insbesondere der Schienenverkehr und dabei vor allem der Schienen-Güterverkehr aufgrund der großen Steigungen der Strecke eine so große Herausforderung dar, dass ein Transport von Gütern mit dem LKW oft wirtschaftlicher ist. Das soll mit dem sogenannten Brennerbasistunnel geändert werden, der bis 2032 fertiggestellt werden soll. Um dabei auch eine stabile Anbindung garantieren zu können, werden zudem sowohl im Norden (Österreich und Deutschland), als auch im Süden (Italien) neue Zulaufstrecken erbaut, bzw. ausgebaut, um Kapazitäten von mehreren hundert Zügen pro Tag zu erlauben.

Daneben gibt es zahlreiche kleinere Flaschenhälse und nicht mit den Anforderungen der EU hinsichtlich der Kernnetzkorridore festgelegten Richtlinien übereinstimmende Ausbaugrade auf Teilstrecken des ScanMed-Korridors, von denen beispielhaft einige innerhalb der BRD herausgegriffen werden sollen. Im Schienenverkehr etwa fehlen bislang die Nordzulaufstrecke des Brennerbasistunnels, die zwischen Grafing und Rosenheim neu erbaut werden soll, ebenso wie die im Rahmen des Optimierten Alpha E + Bremen geplanten und zu errichtenden Umfahrungsstrecken zwischen Hannover und Hamburg, sowie der Ausbau hiesiger Bestandsstrecken. Auf der Bahnstrecke zwischen Hof und Regensburg, die Teil des sogenannten Ost-Korridors der Bahn ist, fehlt bislang die Elektrifizierung der Strecke. Eine Neubaustrecke München-Ingolstadt mit Anschluss an den Münchner Flughafen steht ebenfalls im Lastenheft des bis 2030 zu realisierenden ScanMed-Korridors. Auch zahlreiche Güterumschlagsbahnhöfe erfüllen derzeit nicht die geforderten Standards, insbesondere nicht im Hinblick auf eine Güterzuglänge von mehr als 740 Meter, darunter unter anderem München, Nürnberg, Hannover, Rostock, Lübeck, Großbeeren, Schkopau, sowie Hamburg-Billwerder.

Anforderungen für eine militärische Nutzbarkeit des Korridors

Damit die vorrangig für zivile Zwecke errichteten Transportachsen auch tatsächlich im Sinne einer „dual use“-Strategie militärisch genutzt werden können, müssen einige Anforderungen erfüllt werden, die beispielsweise im Europäischen „Action Plan on military mobility“ definiert werden. Dazu gehören etwa zulässige Achslasten von 22,5 Tonnen, ebenso wie die Multimodalität der Korridore, also die Möglichkeit mehr oder weniger jederzeit von Straße auf Schiene oder Wasserstraße und umgekehrt wechseln zu können, sollte etwa eine der parallel verlaufenden Infrastrukturen schwerwiegend beschädigt werden. Neben parallel verlaufenden Transportwegen unterschiedlicher Art sind das also vor allem Umschlagbahnhöfe und -häfen, die Güter von der Straße auf die Schiene, sowie umgekehrt bringen können, oder eben vom Schiff auf Straße/Schiene. Solche, im Rahmen des EU Infrastrukturprojekts Rail-Road Terminals genannten Umschlagsbahnhöfe befinden sich entlang des ScanMed-Korridors in Süd-Nord-Richtung innerhalb der BRD in München, Nürnberg, Hannover, Berlin, Bremen, Bremerhaven, Hamburg, Lübeck und Rostock.

Darüberhinaus ist für eine militärische Nutzbarkeit der Transportkorridore eine ausreichende Versorgung mit Treibstoff entlang dieser essentiell. Denn der Transport von Truppen und Kriegsgerät verschlingt eine gigantische Menge an Energie und die lässt sich nicht einfach so herbeizaubern. Schon für die Versorgung des zivilen Transportwesens werden zahllose Tankstellen für PKW, LKW, Züge, Flugzeuge und Schiffe benötigt, die mit einer ausgefeilten Logistik aus Pipelines, Güterzügen und Tanklastwägen täglich mit dem nötigen Treibstoff versorgt werden. Grob beschrieben gelangt der in den Raffinerien produzierte Treibstoff (wo das dafür nötige Rohöl meist via Pipeline landet, siehe weiter unten) via Pipelines, Tankschiffen und Tankzügen in sogenannten Tanklagern, von denen er ebenfalls via Tankzug oder LKW an die unterschiedlichen Tankstellen, sowie in kleinere und weiter entfernte Tanklager verbracht wird. Einige strategisch besonders bedeutende Tanklager für das Militär werden in Deutschland und ganz Europa mithilfe eines Pipelinenetzes der NATO verbunden, das heute mitunter auch von zivilen Betreibern betrieben wird, im Bedarfsfall aber militärische Vorrangnutzung sichert. In Deutschland gibt es insgesamt 12 aktive Kraftstoffraffineriestandorte, die sich in Burghausen, Brunsbüttel, Gelsenkirchen, Hamburg-Haburg, Hemmingstedt (Heide), Ingolstadt, Karlsruhe, Köln, Leuna, Lingen (Ems), Schwedt (Oder) und Neustadt an der Donau / Vohburg an der Donau befinden. Sie werden versorgt über vier zentrale Pipelinesysteme, die Nord-West Ölleitung, die die zusammen mit der Norddeutschen Ölleitung über den Wilhelmshavener Ölhafen die Raffinerien in Lingen, Köln, Gelsenkirchen und Hamburg-Harburg mit Rohöl versorgt, die Südeuropäische Pipeline, die ausgehend vom Marsailler Hafen die Raffinerie in Karlsruhe versorgt und dort außerdem an die Transalpine Ölleitung (TAL) angeschlossen ist, die wiederum Öl aus dem Hafen von Triest nach Burghausen, Ingolstadt, Karlsruhe und Neustadt/Vohburg an der Donau pumpt, sowie eine Pipeline von Rostock nach Schwedt und von dort nach Lingen, die insbesondere seit dem Boykott russischen Öls, das zuvor ebenfalls in Schwedt über die Erdölleitung Freundschaft ankam, an ihre Kapazitätsgrenzen stößt und für 400 Millionen Euro ausgebaut und erweitert werden soll. Von den Raffinerien nimmt der Treibstoff einen meist undurchsichtigen und logistisch ständig neu geplanten Weg über Pipelines, Tankzüge und Lastwägen in entsprechende Tanklager oder direkt zu den verschiedenen Tankstellen.

Für die primäre militärische Treibstoffversorgung dürfte jedoch ohnehin eher das Central European Pipeline System (CEPS) der NATO vorgesehen sein, das mit militärischen Standorten in Lauchheim-Röttingen (Aalen), Altenrath, Mainhausen (Aschaffenburg), Bellheim, Niederstedem (Bitburg), Boxberg, Bramsche, Wonsheim (Fürfeld), Hademstorf (Hodenhagen), Hohn-Bollbrüg, Untergrupppenbach-Obergruppenbach (Heilbronn), Huttenheim, Kork (Kehl), Weichering (Neuburg an der Donau), Littel (Oldenburg), Pfungstadt, Bodelshausen, Würselen und Walshausen (Zweibrücken), sowie zivilen Einrichtungen in Ginsheim-Gustavsburg, Honau, Krailing (Unterpfaffenhofen), Oberhausen (Neuburg an der Donau) und Speyer insgesamt über 24 Tanklager alleine in der BRD mit einer geschätzten Treibstoffkapazität von jeweils zwischen 20.000 und 100.000 Kubikmeter je Depot. Als Einspeisungspunkte für Treibstoffnachschub innerhalb der BRD sind dabei die Raffinerien in Wesseling (Köln), Lingen (Emsland), sowie das an einem Eisenbahnknotenpunkt, sowie dem Rhein strategisch günstig gelegene Tanklager Gustavsburg, das gar über einen eigenen Hafen verfügt. Zudem verfügen zahlreiche weitere Tanklager mit Anschluss an das CEPS über Eisenbahnanbindung und könnnen so zu Einspeisungspunkten umfunktioniert werden und schließlich bleiben da noch die Nordsee- und Mittemeerhäfen, sowie die zahlreichen Tanklager in Belgien, den Niederlanden, Luxemburg und Frankreich, sowie den dort angeschlossenen Raffinerien, um eventuelle Treiibstoffengpässe auszugleichen. Dies ist jedoch auch bitter nötig, denn der Treibstoffbedarf einer Armee in Bewegung ist schier unermesslich. Ein Panzer etwa verschlingt pro Betriebsstunde mindestens etwa 150 Liter Diesel (große Kampfpanzer bringen es da auch einmal auf  gut 600 Liter!), ein Kampfjet bringt es schnell mal auf 5000 bis 10.000 Liter Kerosin pro Betriebsstunde. Da kann man sich freilich die Tage an einer Hand abzählen, bis die Treibstoffvorräte in den militärischen Tanklagern aufgezehrt sind. Speziell für die ScanMed-Achse fällt dabei natürlich auf, dass die Route zwischen dem Großraum München-Ingolstadt und Bremen/Hannover relativ weit vom für Deutschland wesentlichen militärischen Pipelinenetz CEPS entlegen verläuft und auf dieser Strecke entweder entsprechende Zubringer-Korridore genutzt werden müssen, die über Straße und Schiene verlaufen, oder aber in diesem Bereich vermehrt auch militärisch auf die zivile Treibstoffversorgung zurückgegriffen werden müsste. Betreibergesellschaften des CEPS auf bundesdeutschem Boden sind übrigens die Fernleitungs-Betriebsgesellschaft (FBG), wärend die für den Schienentransport notwendigen Kesselwägen einst der VTG überantwortet wurden. Ein Teil der Tanklager wird überdies derzeit von der TanQuid verwaltet.

Immer wichtiger für eine Versorgung des Militärs mit Treibstoff werden dabei in Zukunft auch die neu zu errichtenden Wasserstoffpipelines und die rund um den in Mode kommenden Energieträger Wasserstoff entstehenden Infrastrukturen werden, die vor allem von der grünen Kriegspartei mit so großen Nachdruck forciert werden. Dabei werden diese vermutlich zunächst die Raffinerien versorgen, die weiterhin Treibstoffe liefern, längerfristig sind jedoch sicherlich auch Treibstoffumstellungen auf wasserstoffbetriebene Motoren zu erwarten. Zumindest das geplante Wasserstoff-Kernnetz sieht durchaus vor, alle Regionen entlang des ScanMed-Korridors zu erschließen.

Eine Einführung in die Kartografierung lokaler Rüstungsindustrie und ihrer sensiblen Punkte

Übernommen von der Seite ruestungsindustrie.noblogs.org

Wozu bedarf es überhaupt einer sorgfältigen Analyse der Rüstungsindustrie mit all ihren Zulieferern, Logistikern, Financiers, Forscher*innen und Fürsprecher*innen? Genügt es nicht zu wissen, wo die großen Hersteller von Waffen und Kriegsgerät sitzen, um diese angreifen zu können? So wie sich etwa die Kampagne Rheinmetall Entwaffnen zumindest grundsätzlich darauf festgelegt hat, ihren Widerstand gegen die Rüstungsindustrie vor allem auf eines der größten deutschen Rüstungsunternehmen, den Rheinmetall-Konzern zu konzentrieren? Natürlich wäre es ein großer Sieg, die großen Rüstungskonzerne, deren Kerngeschäft sich um Waffen und Kriegsgerät dreht, erfolgreich zu zerschlagen, aber wenn man einmal realistisch bleibt, so bieten die stacheldrahtbewehrten, kameraüberwachten und von Sicherheitsleuten bestreiften Werksgelände von Unternehmen wie Rheinmetall, Krauss-Maffai Wegmann, Heckler & Koch, DIEHL Defence, Airbus und Co. nur einen geringfügigen Spielraum für (feinmotorische) Sabotagen und Angriffe. Sicher sind es die Produzenten von Panzern, Jagdflugzeugen, Maschinengewehren, Raketen und Bomben, die uns allen ein besonderer Dorn im Auge sind, die am sichtbarsten jenes Equipment produzieren, mit dem anderswo auf der Welt Morde, Genozide und Gemetzel verübt werden, um die sich folglich also auch immer wieder sozialer Protest regt, aber nur weil es der Rüstungsindustrie halbwegs gelungen ist, ihre übrige Struktur, ihre Logistik und ihre Profiteur*innen zu verbergen, so müssen wir, als Antimilitarist*innen und Anarchist*innen dieser Finte doch nicht ebenfalls auf den Laim gehen.

Eine sorgfältige Analyse der Rüstungsindustrie, die deren Netzwerke, Verstrickungen, Zulieferer, Logistik, deren Forschung und Fürsprecher*innen, sowie nicht zuletzt auch ihre Geldgeber*innen offenlegt, vermag einerseits aufzuzeigen, wie eng verzahnt Technologie und Produktion mit dem Krieg sind und sich damit gegen den Mythos wenden, irgendein (Rüstungs-)Konzern könne einfach so „entwaffnet“ werden und fortan zivile Güter zum allgmeinen Wohlstand produzieren, andererseits kann eine solche Analyse auch jene Schwachstellen aufzeigen, an denen Sabotagen und Angriffe auf eine sehr viel niederschwelligere Art und Weise möglich sind, an denen keine stacheldrahtbewehrten Zäune überwunden, Kameras ausgetrickst und sich schließlich noch mit dem Sicherheitspersonal angelegt werden muss, bevor man überhaupt auf dem weitläufigen Gelände einer der Produktionsstätten des organisierten Mordens steht. Und doch Angriffe, die eben genau das selbe bedingen können, nämlich stillstehende Produktionshallen und/oder die Vernichtung des bereits produzierten Kriegsgeräts, bevor es überhaupt eines der Schlachtfelder dieser Welt erreicht.

Wenn etwa bei MAN, ebenso wie anderen Fahrzeugherstellern die Fertigungslinien still stehen, weil es an Halbleitern mangelt [1], dann zeigt uns das, wie fragil die Produktion von Hightech-Gerät ist, wie sehr sie nicht nur von bestimmten Rohstoffen, sondern auch von einer mehr oder weniger ununterbrochen funktionierenden Kette an Zulieferern und jener Logistik, die diese Komponenten zu den Produktionsstätten des Endprodukts befördert, abhängt. LKW, Panzer, Kriegsschiffe, Kampfflugzeuge, ja selbst weit weniger komplexe Systeme wie Sprengstoffe, Gewehre und Schusswaffen und deren Munition, all das benötigt diese ununterbrochen funktionierenden Ketten von Zulieferern, die zudem oft nicht nur über das ganze Land verteilt sitzen, sondern auch auf internationale Lieferungen von Rohstoffen und Bauteilen angewiesen sind. Und gerade in der Rüstungsindustrie, gerade im Bereich komplexer Systeme wie Fahrzeugen aller Art, wo nicht abertausende Endprodukte gefertigt werden, sondern vielmehr wenige dutzende, bis hunderte, da mag es schon einmal vorkommen, dass Ausfälle von Lieferanten, die ein speziell gefertigtes Bauteil liefern, das sehr viel Know-How erfordert oder auch einfach nur spezielle oder speziell eingestellte Maschinen, die gesamte Produktion des Endprodukts über eine längere Zeitspanne hinweg einbrechen lassen.

Unter anderem hierin, in der konkreten Identifikation derartiger Schwachstellen bei der Produktion von Waffen und Kriegsgerät sehen wir den Hauptgewinn einer sorgfältigen Analyse der Rüstungsindustrie und auch wenn wir in diesem Projekt versuchen, möglichst das gesamte Netzwerk der Rüstungsindustrie in Deutschland sichtbar zu machen, auf dass ein*e jede*r noch sehr viel mehr Schwachstellen zum Ansetzen von Sabotage und Angriffen finden möge, soll der folgende Artikel eben einen Schwerpunkt auf ersteres legen.

Also wie lässt sich das (lokale/regionale) Netzwerk der Rüstungsindustrie aufdecken?

1. Ein paar mögliche Ausgangspunkte

  • Lokale Streitkräfte und Polizeibehörden
    Naheliegend ist, seine Recherchen bei den lokalen Truppen, seien sie nun militärisch oder polizeilich, zu beginnen. Immerhin setzen diese genau jenes Gerät und jene Waffen ein, die die Rüstungsindustrie für sie produziert. Also welche Fahrzeuge fahren diese Truppen? Welche Marke haben ihre Funkgeräte? Welche Hersteller produzieren ihre Waffen? So banale Fragen (über die im Zweifel sogar eine*r der Söldner*innen Auskunft geben wird), werden zu den ersten Unternehmen führen, die Teil der Rüstungsindustrie sind.
  • Bereits bekannte Rüstungsunternehmen
    Eine andere Möglichkeit ist bei bereits bekannten Rüstungsunternehmen, d.h. in der Regel bei solchen, deren Geschäftstätigkeit ausschließlich die Herstellung von Waffen und/oder Kriegsgerät ist, zu beginnen. Dazu können Zeitungen, ebenso wie das Internet durchforstet werden und schon so banale Suchanfragen wie „Rüstungsunternehmen Deutschland“ werden eine ganze Liste solcher Firmen ausspucken.
  • Lobbyverbände
    Das ist eine der ergiebigsten Quellen, um einen unfangreichen Überblick über zentralere Akteure der Rüstungsindustrie zu gewinnen. Auch wenn viele Unternehmen nicht offen damit werben, dass sie einen Teil ihres Gewinns damit machen, dass anderswo Menschen gemetzelt werden, wollen sie dennoch, dass die Politik, sowohl die nationale, als auch die internationale, ihre Interessen vertritt und sowohl dafür sorgt, dass derlei Gemetzel rege stattfinden, als auch, dass es ihnen erlaubt ist, die Schlächter dieser Welt mit der dafür notwendigen Ausrüstung zu versorgen. Dazu schließen sie sich in Lobbyorganisationen zusammen, deren Mitgliederlisten folglich Aufschluss darüber geben, wer alles ein Interesse an einer florierenden Rüstungsindustrie hat. Natürlich nennen sich solche Lobbyverbände nicht „Freund*innen des anhaltenden Gemetzels“, sondern geben sich eher Namen wie „Bundesverband der Deutschen Sicherheits- und Verteidigungsindustrie e.V. (BDSV)“ oder „AeroSpace and Defence Industries Association of Europe (ASD)“, sowieso sind „Verteidigung“/“Defence“ und „Sicherheit“ häufige Begriffe, mit denen das Metzeln verschleiert werden soll. Manchmal nennen sich entsprechende Lobbyverbände aber auch etwas unverhohlener „Förderkreis Deutsches Heer e.V.“ oder „Deutsche Gesellschaft für Wehrtechnik e.V. (DWT)“.
  • Konferenzen und Messen
    Ebenfalls gute Ausgangspunkte sind auch diverse Konferenzen und Messen, auf denen sich die verschiedenen Freund*innen des Gemetzels aus Politik, Wirtschaft und Militär tummeln. Ein Beispiel ist etwa die international bedeutsame „Munich Security Conference“, aber auch Waffenmessen und dergleichen offenbaren in Form ihrer Aussteller*innen die Unternehmen der Rüstungsindustrie.

2. tiefer graben

2.1 Internet-Recherchen

Wo sich heute so gut wie jedes Unternehmen seinen Kunden und der Öffentlichkeit im Internet präsentiert, erleichtert das die Recherche von Lieferketten zuweilen ungemein. Zwar führen Unternehmen – und Rüstungsunternehmen schon gar nicht – in der Regel keine Listen über ihre Zulieferer, wohl aber geben vor allem kleinere Unternehmen, aber nicht nur die, oft damit an, wen sie alles beliefern dürfen. Unter den Stichworten „Referenzen“, „Fallstudien“/“Case Studies“, „Kunden“ oder „Projekte“ listen viele Unternehmen auf ihren Webseiten auf, wen sie alles beliefern. Manchmal, besonders im Fall von „Fallstudien“/“Case Studies“ geben sie sogar detaillierte Auskünfte darüber, welches Produkt sie an ein Unternehmen liefern, und wozu dieses dort eingesetzt wird. Nun steht man zwar vor dem Problem, dass man zwar die Unternehmen und Streitkräfte kennt, deren Lieferanten eine*n besonders interessieren, jedoch aus Unkenntnis dieser Lieferanten eben nicht auf deren Webseite nachsehen kann, ob sie diese Unternehmen/Streitkräfte beliefern (und das angeben). Aber das ist kein Problem, das eine Suchmaschine nicht lösen könnte. Man braucht beispielsweise nur nach soetwas wie „Referenzen Rheinmetall“ zu suchen, und schon spukt die einer*m eine ganze Liste an Unternehmen aus, die angeben, dass sie das Unternehmen Rheinmetall beliefern. Das gleiche funktioniert natürlich auch für die „Bundeswehr“, das „Bundeskriminalamt“, die „Bundespolizei“, das „Bundesamt für Ausrüstung Informationstechnik und Nutzung der Bundeswehr“ und jedes andere Rüstungsunternehmen. Banal, nicht?

Aber es geht noch banaler: Immerhin besteht der gesamte militaro-industrielle Komplex auch zu einem gewissen Teil aus irgendwelchen Waffen-, Flugzeug- und Panzerfreaks, die selbstverständlich auch unterhalten und mit Informationen versorgt werden wollen, sei es dazu, wie schnell so ein Kampfflugzeug fliegt, wie weit ein Panzer schießt oder eben wo dieses gefährliche Spielzeug gefertigt wird. Und diese Informationen finden sich in allerhand Fachzeitschriften und/oder entsprechenden Webseiten, wie beispielsweise der FlugRevue (https://www.flugrevue.de/militaer/). Und dann gibt es da noch die digitalen Branchenbücher, mit denen sich die Rüstungsunternehmen versuchen, Aufträge zu sichern oder etwas dergleichen und die zuweilen soetwas ähnliches wie unser Projekt versuchen, nur eben mit einer entgegengesetzten Zielrichtung (https://www.army-technology.com/company-a-z/, https://www.naval-technology.com/company-a-z/, https://www.armscom.net/companies, https://www.armscom.net/world-defense-industry-map). Da bleibt unser einer*m eigentlich kaum noch etwas zu tun, außer uns dieser Informationen zu bedienen, oder?

2.2 geografische Streifzüge

Wenn man erst einmal ein paar der großen Produktionsstätten ausgemacht hat, Militärstützpunkte in der eigenen Umgebung lokalisiert hat und Forschungseinrichtungen, die sich spezifisch mit Rüstungsthemen und angrenzenden Fragen (Luftfahrt, Marine, Raumfahrt, sowie die meiste Nachrichtentechnik, u.v.m.) beschäftigen und mit entsprechenden Unternehmen zusammenarbeiten, ausfindig gemacht hat, dann lohnt es sich oft, sich auch dorthin zu begeben und diesen Ort einmal genauer unter die Lupe zu nehmen:

  • Technologiepartner haben oft ihre Standorte und Zweigstellen direkt am oder sogar auf dem Produktionsgelände der Rüstungsproduzenten. Immerhin ist gerade bei den komplexeren Systemen, die gemäß Kundenwunsch gefertigt werden, ihr Rat häufig gefragt und da ist es sehr viel einfacher, wenn man quasi Haustür an Haustür wohnt.
  • Auf und an Forschungscampusen sind oft jene Unternehmen mit einem Büro oder einer Zweigstelle vertreten, die ein besonderes Interesse an der dort betriebenen Forschung haben.
  • Logistikdienstleister und andere Dienstleistungsunternehmen haben ihre Standorte und Zweigstellen ebenfalls auf oder nahe am Produktionsstandort der von ihnen belieferten Produzenten. Bei jenen Dienstleistern, die sich auf die Rüstungsindustrie spezialisiert haben, ist das nicht anders und kommt vielleicht sogar noch häufiger vor, immerhin kann so das Rüstungsunternehmen besser überprüfen, ob auch alle Sicherheitsstandards beim Transport eingehalten werden.
  • Ganz allgemein siedeln sich kleinere Zulieferer, die auch oftmals aus der Auslagerung bestimmter Unternehmensbereiche oder auch aus Startups entstehen, häufig in der unmittelbaren Nähe ihrer Großkunden an.
  • Im Bereich der Luftfahrt, aber ebenso im Bereich der Marine und häufig auch im Fahrzeugbau haben sich so über die Jahre oft riesige Gewerbegebiete gebildet, in denen von spezialisierten Beratungsunternehmen, über Zulieferer und Logistikdienstleister, Softwareunternehmen bis hin zu Produzenten häufig ein Querschnitt durch eine ganze Branche vertreten ist.

All das lässt sich durch einen Besuch vor Ort feststellen. Namen von ebenfalls ansässigen Unternehmen oder auch die Unternehmensnamen auf fremden Firmenfahrzeugen auf den Parkplätzen lassen sich so notieren und später recherchieren, um was für Unternehmen es sich handelt und ob eine Verbindung zu dem fraglichen Rüstungsunternehmen plausibel ist. Findet man nichts eindeutiges heraus, hält eine Verbindung aber für plausibel und vor allem für relevant, lohnt es sich zuweilen durchaus genauere Nachforschungen (wie in Schritt 3 angedeutet/beschrieben) anzustellen.

3. Der Teufel steckt im Detail

Mithilfe der in den Schritten 1 und 2 beschriebenen Methoden lässt sich bereits ein Großteil derjenigen Unternehmen identifizieren, die mehr oder weniger offen einräumen, dass sie etwas mit der Rüstungsindustrie zu tun haben. Was aber ist mit jenen Unternehmen, die derartige Verbindungen um jeden Preis zu verbergen versuchen, weil sie etwa fürchten Opfer von Angriffen und Sabotagen zu werden, oder auch, weil sie negative Schlagzeilen um ihr Unternehmen fürchten? Sind nicht gerade auch diese Unternehmen von großem Interesse dabei, Schwachstellen in den Produktions- und Lieferketten der Rüstungsindustrie und ihrer Logistik zu identifizieren?

Also tauchen wir noch ein wenig tiefer in die Materie ein.

3.1 verräterische Bürokratie

Viele Unternehmen geben auf ihren Webseiten und nach Möglichkeit auch sonst nirgends, wo dies massenhaft auswertbar wäre, lieber nicht an, dass sie Armeen und/oder die Hersteller von Waffen und Kriegsgerät beliefern. Sie treten auch nicht den einschlägigen Lobbyverbänden der Rüstungsindustrie bei und sind bei Waffenmessen und dergleichen nicht vertreten. Es sind häufig jene Unternehmen, die einzelne Teile für beispielsweise Panzer liefern, deren Geschäftstätigkeit jedoch hauptsächlich darin besteht, die selben oder ähnliche Teile für z.B. die Automibilindustrie oder die Hersteller von schweren Baumaschinen zu liefern. Oder es sind Megakonzerne der Technologie- und Chemiebranche, deren Lösungen und Produkte in bestimmten Bereichen gewissermaßen Industriestandard geworden sind und die die Hersteller von Panzern, Kampfjets, Kriegsschiffen, Raketen, Satelliten und Waffen selbstverständlich ebenfalls beliefern, so wie sie oft auch Aufträge von Polizei, Militär und Geheimdiensten entgegen nehmen. Aber warum sollten sie das öffentlich kund tun? Sie brauchen diese Art der Werbung nicht, weil sie ohnehin direkte Kontakte besitzen und/oder ihre Kunden sowieso auf sie zukommen.

Was jedoch als eine Leistung oder ein Produkt dieser Unternehmen nicht beschrieben wird, das hinterlässt häufig dennoch gewisse bürokratische Spuren. Immerhin ist die Rüstungsindustrie eine Branche, die sehr viel auf Geheimhaltung setzt, sei es von den militärischen Auftraggebern verordnet oder aus eigenem Interesse. Und da verlangt man oft eben auch von seinen Zulieferern, die Zugang zu bestimmten Informationen haben, dass diese die entsprechenden Standards der Geheimhaltung umsetzen. Zudem gibt es in beinahe allen Ländern umfangreiche staatliche Verordnungen, die den Export und damit auch den Transport von Rüstungsgütern regeln. Und damit all das in der gesamten Produktionskette auch eingehalten wird, weisen Zulieferer oft schon entsprechende Zertifizierungen und Kompetenzen auf ihren Webseiten nach, ebenso wie die Produzenten oft entsprechende Formulare bereithalten, in denen derlei Zertifizierungen von ihren Lieferanten abgefragt werden. Und das ist natürlich verräterisch:

  • Logistikunternehmen, die Gefahrgüter der Klasse 1 (explosive Stoffe) transportieren dürfen/können, haben sich sicherlich nicht umsonst um diese Zulassung bemüht. Und wenn sie dann auch noch Dienstleistungen anbieten, Güter zu transportieren, die unter das Kriegswaffenkontrollgesetz fallen, oder eine Erlaubnis des BKA besitzen, verbotene Waffen zu transportieren und/oder zu lagern, dann verfliegt schließlich jeder Zweifel daran, dass es sich hier um Logistikdienstleister der Rüstungsindustrie handeln muss.
  • Unternehmen, die bei der Suche nach Mitarbeitern in den Stellenausschreibungen betonen, dass eine Bereitschaft zur Sicherheitsüberprüfung (Ü1, Ü2, Ü3) im personellen Geheim- und Sabotageschutz nach dem Sicherheitsheitsüberprüfungsgesetz (SÜG) der Bewerber*innen vorhanden sein sollte, weist häufig darauf hin, dass diese Unternehmen Aufträge von Behörden des Bundes, die eine besondere Geheimhaltung erfordern, entgegennehmen. Das sind sehr häufig Aufträge von Bundeswehr, Geheimdiensten und Polizeibehörden.
  • Rüstungsunternehmen, sowie deren Zulieferer setzen häufig bestimmte Normen um, die entsprechende Unternehmensabläufe standardisieren und zertifizieren. Die ISO Norm 9001 beispielsweise entspringt der Rüstungsindustrie und kann ein Hinweis darauf sein, dass ein Unternehmen in dieser Branche tätig ist, sie wird jedoch mittlerweile auch von Unternehmen aus anderen Branchen umgesetzt. Die internationale Norm AS9100 ist da schon spezifischer und zertifiziert Unternehmen der Luft-, Raumfahrts- und Verteidigungsindustrie. Unternehmen, die derartige Normen umsetzen sollten zumindest im Verdacht stehen, mit der Rüstungsindustrie zu tun zu haben. Darüber hinaus gibt es etwa die United States Military Standards (MIL-*), die spezifische Normen für militärische Produkte festlegen und von entsprechenden Unternehmen umgesetzt werden. Die Umsetzung eines solchen Standards qualifiziert ein Unternehmen eindeutig als Rüstungsunternehmen.

3.2 sich die Hände schmutzig machen

Die bisher beschriebenen Methoden funktionieren sehr gut, um eine relative Breite an Informationen über die Rüstungsindustrie und ihre Zulieferer & Co. in Erfahrung zu bringen und man ist häufig überrascht, welche Informationen sich auf diesem Wege ermitteln lassen. Trotzdem stoßen sie an ihre Grenzen, wenn man sich beispielsweise sehr konkret für ein bestimmtes Unternehmen interessiert, oder auch für bestimmte Details. Letzten Endes wird man in diesen Fällen nur selten darum herum kommen, hinter dem Bildschirm hervorzukommen und ein paar Besuche zu machen. Wenn wir im folgenden versuchen, ein paar einfachere Methoden der Recherche vor Ort zu skizzieren, dann jedoch nicht ohne die Warnung auszusprechen, dabei immer auf deine Anonymität zu achten. [2] Es mag zwar vieles hier beschriebene völlig legal sein oder sich zumindest nicht um schwerwiegende Straftaten handeln, wenn jedoch der Zweck dieser Recherche ist, Schwachpunkte für einen späteren Angriff zu identifizieren, dann birgt es immer auch ein Risiko, dass später nachvollzogen werden kann, woher die für einen solchen Angriff benötigten Informationen stammen. Und nicht selten werden zu diesem Zweck auch einmal die Videoüberwachungsdaten der letzten Wochen und Monate ausgewertet, um auffällige Personen, die sich ein Gelände genauer angesehen haben, zu identifizieren und dergleichen mehr.

3.2.1 Besucher

Will man herausfinden, wer Zulieferer und Kund*innen eines Unternehmens sind, welche Dienstleister innerhalb des Unternehmens tätig sind, usw., so ist es naheliegend, sich die Besucher*innen dieses Unternehmens näher anzusehen:

  • Wenn es sich um einen größeren Unternehmenssitz mit mehreren Gebäuden auf einem (meist eingezäunten) Werksareal mit mehreren Zugängen handelt, so macht es zunächst einmal Sinn, in Erfahrung zu bringen, welche Gebäude und vor allem welche Werksgeländezugänge relevant sind. Je nach Art von Besucher*in kommen dafür verschiedene Möglichkeiten in Betracht:
    • Unternehmensvertreter, egal ob Kunden oder Lieferanten, werden meist in den repräsentativeren Gebäuden empfangen, und gelangen in aller Regel über den Haupteingang/Empfang auf das Gelände.
    • Handwerker/Servicepersonal/ortsansässiges externes Personal anderer Unternehmen, das regelmäßig zu Besuch ist und vor Ort in die Abläufe des Unternehmens integriert ist, kann oft die gleichen Zugänge nutzen, wie auch das unternehmenseigene Personal, was eine Beobachtung sicherlich erschwert. Besonders typisch ist das für langfristig vor Ort eingesetztes IT-Personal, mit Umbau- und Reperaturarbeiten betraute Handwerker, sowie von den Hersteller*innen von Maschinen und Co. längerfristig entsandtes Wartungspersonal. Auch Sicherheitsdienste sind oft extern beauftragt. Bei sehr großen Werksgeländen, die nicht ohne weiteres hindernissfrei durchquert werden können, betritt externes ebenso wie internes Personal das Gelände meist in der Nähe ihres Einsatzortes, ist das Werksgelände jedoch eher überschaubar, dann hängt es oft von der Art der Anreise ab, wo das Personal das Werksgelände betritt.
    • Konkrete Lieferungen erreichen die Unternehmen über die Lieferanteneingänge. Wenn es einem um die Logistikunternehmen und/oder um deren Fracht geht, dann sind diese in der Regel der geeignete Ort.
  • Oft haben Unternehmen auch Besucher*innenparkplätze, die entsprechend zu einer Analyse der Besucher*innen ebenfalls interessant sein können.
  • Gerade die Vertreter*innen von Kunden und Zulieferern sind in der Regel nicht uniformiert, d.h. sie tragen den Namen ihrer Firma nicht auf ihrer Kleidung und häufig auch nicht auf ihren Fahrzeugen. Damit bleibt natürlich zunächst einmal undurchsichtig, woher ein Besucher stammt. Folgende Möglichkeiten bieten sich an:
    • Teilweise geben von außen einsichtige Dokumente in Fahrzeugen auf Besucherparkplätzen Auskunft darüber, für welches Unternehmen ein Besucher arbeitet (Ausgedruckte Schreiben mit Anfahrtsbeschreibung, Parkausweise oder irgendwelcher Firmenmerch werden oft achtlos und sichtbar im Wageninneren liegen gelassen).
    • Das von Unternehmen, die besondere Sicherheitsinteressen haben, umgesetzte „Besuchermanagement“ sieht häufig vor, dass Besucher*innen (und meist auch Angestellte) auf dem Werksgelände offen sichtbar einen entsprechenden Ausweis mit sich führen, auf dem Name und Unternehmen vermerkt sind. Wenn es gelingt, einen Standort einzunehmen, von dem aus diese Ausweise gesichtet/fotografiert werden können, kann das die gewünschte Erkenntnis bringen.
    • Natürlich können Besucher*innen nachdem sie das Gelände wieder verlassen auch observiert werden, in der Hoffnung, dass diese im Anschluss an ihren Unternehmenssitz zurückkehren. Abgesehen davon, dass das unter allen Umständen unbemerkt bleiben sollte und daher sehr aufwändig ist, sollte man sich jedoch überlegen, ob das den Aufwand wert ist. Oft kehren Vertreter*innen nicht direkt in ihr Unternehmen zurück, sondern besuchen noch weitere Kunden oder fahren im Anschluss an ihren Kundenbesuch nach Hause, machen Mittagspause, fahren ins Hotel, usw. Vielfach haben sie auch lange Anreisewege, wenn ihre Firma keinen Sitz vor Ort hat. Jemanden über hunderte Kilometer zu verfolgen, nur um dann festzustellen, dass er*sie nach Hause gegangen ist, etc. ist ziemlich frustrierend und meist gibt es einfachere Möglichkeiten.
    • Besucher*innen, die das Gelände verlassen können natürlich auch unter einem erfundenen Vorwand angesprochen werden, in dem Versuch, sie entsprechend auszufragen. Allerdings sollte dabei darauf geachtet werden, dass dies möglichst außerhalb des Blickwinkels irgendwelcher Kameras passiert und auch für die Besucher*innen selbst unauffällig/uninteressant bleibt. Kaum etwas ist schlimmer als eine Begegnung, die jemandem langfristig in Erinnerung bleibt.

3.2.2 Mitarbeiter

Will man mehr über die internen Mechanismen eines Unternehmens herausfinden, kann es Sinn machen, mit den Mitarbeitern dort zu sprechen. Je nachdem wie banal eine Information ist (manchmal reicht auch ein „Sag mal ich habe mich immer schon gefragt, was ist das hier eigentlich, wo du da gerade rauskommst?“) muss dazu jedoch oft erst eine Beziehung zu den Mitarbeitern aufgebaut werden, die über ein einziges Gespräch hinausgeht. Hier gilt das Gleiche wie beim Ansprechen von Besucher*innen: Es kann extrem ungut sein, wenn sich ein Mitarbeiter später an eine*n erinnern kann. Trotzdem seien hier ein paar Möglichkeiten skizziert:

  • In nahegelegenen Bars/Kneipen, in denen Mitarbeiter nach der Arbeit verkehren lassen sich nicht nur deren Gespräche über die Arbeit vom Nebentisch belauschen, sondern schon auch einmal mit dem einen oder anderen Mitarbeiter ungezwungen anbandeln. Es ist ja nun nicht unüblich, dass Leute diese Orte aufsuchen, um Kontakte zu knüpfen und auch nicht, dass einst dort verkehrende Leute irgendwann nicht mehr auftauchen man nie wieder was von ihnen hört und es muss ja keine*r wissen, dass man nur in der Absicht dort aufkreuzt, um eine bestimmte Information zu bekommen. Und sowieso sind Gespräche unter (scheinbar) betrunkenen Barbesuchern nicht selten indiskret und nüchtern betrachtet seltsam. Um entsprechende Bars ausfindig zu machen kann man etwa Gruppen von Angestellten oder auch einzelnen, die das Werksgelände verlassen unauffällig nachlaufen, oder man schaut sich die unterschiedlichen Bars in der Umgebung einfach mal an. Dass die Mitarbeiter dieser Unternehmen häufig entsprechende Werksausweise tragen hilft in diesem Fall dabei, sie zu identifizieren. Was man auf jeden Fall berücksichtigen sollte ist, dass Angestellte der Produktion in der Regel definitiv anders drauf sind, als Angestellte des Managements/der Verwaltung und man je nachdem auf wen man es abgesehen hat, gewisse Codes (Kleidung, Sprache, usw.) berücksichtigen sollte.
  • Die in Gewerkschaften organisierten Arbeiter*innen lassen sich über diese in einem geradezu vertraulichen Rahmen ausfragen, wie dies oder jenes bei ihnen läuft, usw. Weniger interessant sind dabei die Bürokratien innerhalb der Gewerkschaften, in denen sich vor allem die gewerkschaftseigene Bürokratenkaste tummelt. Diese Leute vertreten schließlich mehr oder weniger ebenfalls die Interessen ihrer Ausbeuter*innen, bzw. die derjenigen, die ihre Gewerkschaftsmitglieder ausbeuten und haben den Schutz ihrer Unternehmen relativ verinnerlicht. Viel interessanter ist die Basis, mit der man bei Gewerkschaftsveranstaltungen, auf Demonstrationen, usw. in Kontakt treten kann. In Deutschland sind die meisten Angestellten der Rüstungsindustrie wohl in der IG Metall organisiert.
  • Gewerkschaften sind out (verständlicherweise). Besonders unter jenen, die sich in der mittleren und höheren Verwaltung tummeln. In ist vielmehr, sich statt mit Arbeitskämpfen, mit der eigenen Karriere zu beschäftigen. Es mag da durchaus auch entsprechende Institutionen geben, die dies auf direktem Wege tun, der unauffälligste Weg jedoch hat augenscheinlich nur wenig mit der Karriere zu tun: Sport. Es gehört seit einigen Jahren zum guten Ton, auch einen sportlichen Lebenslauf zu pflegen, über den dann in der Arbeit munter gesprochen werden kann. Rennrad fahren, Marathon laufen (Firmenmarathone gibt es ja genug), oder irgendwelche anderen Sportarten, die gerade in sind. Oft gibt es historisch aus Werkssportvereinen entstandene Einrichtungen rund um die Firmengelände von großen Unternehmen, in denen sich zahllose Angestellte dieser tummeln, die jedoch auch anderen Personen offen stehen. Auch Boulderhallen, Tennisvereine, Golfclubs, usw. in der Nähe dieser Unternehmen werden oft von Mitarbeitern des Managements frequentiert. Und Sport ist immerhin wie auch Bars/Kneipen ebenfalls ein üblicher Ort, um mit fremden Leuten anzubandeln. Beste Voraussetzungen also, um das eine oder andere Detail und manchmal vielleicht sogar Firmengeheimnis in Erfahrung zu bringen, sei es durch das Mithören von Gesprächen oder das eigene Inkontakttreten mit einem Mitglied der Firma.

3.2.3 sich einschleusen

Eine grundsätzlich interessante Möglichkeit, um mehr über ein Unternehmen in Erfahrung zu bringen, ist sich dort auf dem Gelände anstellen zu lassen. Größter Nachteil dabei: Wenn man nicht gerade eine alternative Identität zur Verfügung hat, ist man im Anschluss namentlich bekannt und dank Finanzamt und Co. ist auch der Staat langfristig in Besitz der Information, dass man einmal in diesem Unternehmen gearbeitet hat. Es bietet sich also vor allem an, sich nicht direkt beim fraglichen Unternehmen anstellen zu lassen. Auch wenn dem Unternehmen die eigenen Personalien in der Regel selbst dann bekannt sind, wenn man dort als Putzkraft arbeitet, ist die Verbindung weniger direkt und verjährt auch einmal, während Finanzamtunterlagen bis in alle Ewigkeit aufbewahrt werden. Der relative Aufwand dieser Methode, sowie ihre Risiken legen nahe, dass ihr Einsatz gut überlegt und geplant werden sollte und nach Möglichkeit andere Methoden vorgezogen werden sollten. Klar sollte auch sein, dass diese Methode nur dort Sinn macht, wo man sich ganz konkret Informationen von erheblicher Bedeutung verspricht und unserer Meinung nach keineswegs angewandt werden sollte, um nur ein paar weitere Zuliefererfirmen, etc. ausfindig zu machen, deren Relevanz sich nicht näher bestimmen lässt.

Eine interessante Alternative dazu, sich in ein Unternehmen einzuschleusen kann auch der gezielte Einbruch sein, bei dem Dokumente und/oder Datenträger entwendet oder Computersysteme infiltirert werden. Beides sei hier jedoch nur als Möglichkeit ins Spiel gebracht und nicht näher diskutiert.

3.2.4 Logistik

Zuletzt sei hier noch auf einige Fragen hinsichtlich der Logistik eingegangen. Alleine die Logistikunternehmen, die Kriegsgerät verschippern, sowie ihre Logistikzentren zu kennen, genügt nicht unbedingt, bzw. ist nicht der Weisheit letzter Schluss. Informationen darüber, wann und wohin Waffenlieferungen die Werksgelände der Rüstungsunternehmen verlassen sind essenziell, um diese stoppen zu können. Dazu macht es Sinn, die feineren Details der Logistik rund um Rüstungsunternehmen zu kennen. Welche Route nehmen etwa die LKWs und/oder Züge, die vom Werksgelände rollen? Wo legen die Fahrer*innen Zwischenhalte ein? Wo werden die Container auf Schinen/Schiffe/Flugzeuge/LKW verladen? Nehmen die Lieferungen den direkten Weg vom Firmengelände zu den Kunden oder werden die Produkte in Logistikzentren zwischengelagert? Werden die zur Herstellung benötigten Produkte und Rohstoffe direkt vom Zulieferer geliefert oder von einem Händler? Kümmern sich Logistikdienstleister darum, diese in Logistikzentren vorrätig zu halten und je nach Bedarf zu liefern, oder befindet sich diese Lagerhaltung auf dem Produktionsgelände? Je mehr dieser und weiterer Details aufgeklärt werden, desto mehr Möglichkeiten der Intervention ergeben sich daraus. Dabei kann es durchaus Sinn machen, LKW und Transporter (oft geht es in der Rüstungsindustrie auch um kleinere Mengen, für die Kleintransporter ausrichen), die vom Werksgelände der Rüstungsunternehmen rollen, zu observieren oder anderweitig zu verfolgen, welchen Weg diese nehmen. Zudem sind Regelmäßigkeiten bei der Anlieferung und dem Abtransport von Gütern von Interesse, sowie Korrelationen zwischen Phasen intensiverer Anlieferung und Großaufträgen, usw.

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Dieser Artikel stellt eine Einführung dar, die selbstverständlich nur relativ selektiv einige Methoden zur Recherche von Informationen über die Rüstungsindustrie vorstellen kann. Er soll allen Interessierten als eine Inspiration dienen, eigene Methoden zu entwickeln, die Rüstungsindustrie hinter dem Schleier hervorzuzerren mit dem sie sich umgibt und ihre Schwachstellen offenzulegen.

Auf dass die Rauchschwaden der Zerstörung bald nicht mehr über den Schlachtfeldern dieser Welt aufsteigen, sondern über den Produktionsstätten dieser Todesindustrie!

ruestungsindustrie.noblogs.org

[1] Und dass die Halbleiterindustrie, die wie auch viele andere Sparten der Rüstungsindustrie auf Reinräume angewiesen ist, ziemlich fragil ist, das zeigt beispielsweise ein jüngerer Angriff auf Halbleiterhersteller in Grenoble: https://actforfree.noblogs.org/post/2022/05/09/crolles-bernin-isere-no-immediate-return-to-normal/ / dt.: https://zuendlappen.noblogs.org/post/2022/04/05/crolles-bernin-frankreich-sabotage-der-produktion-zweier-halbleiter-giganten/

[2] Einige allgemeine und umfangreichere Überlegungen dazu findest du beispielsweise in der PRISMA (Kap 4: Unsere eigene Sicherheit), zu finden z.B. hier: https://www.csrc.link/#prisma

ASML: Die Abhängigkeit der Halbleiterindustrie

Zwei Angriffe haben die Produktion der Halbleitergiganten STMicroelectronics und Soitec im vergangenen April schwer getroffen. Als ein Beitrag dazu, sich Möglichkeiten auszudenken, dort anzugreifen, wo es wirklich weh tut, soll hier ein kurzer Überblick über das Unternehmen ASML gegeben werden – eine unvermeidbare Abhängigkeit für alle Halbleiterhersteller.

ASML könnte die wichtigste Firma sein, von der ihr nie etwas gehört habt. Die 220 Milliarden Dollar Firma aus den Niederlanden stellt die Maschinen her, die zur Halbleiterproduktion benötigt werden. Jede davon kostet 150 Millionen Dollar und der Zugang dazu ist ein großes geopolitisches Spannungsfeld. Das Hauptprodukt der Firma ist eine EUV-Lithografie Maschine, die winzige Schaltkreise auf Siliziumscheiben „druckt“.

Jährlich werden nur rund 40 davon hergestellt und ASML hat ein Beinahe-Monopol auf die Technologie dieser Maschinen. Die Hauptkunden von ASML sind Intel, Samsung und die Taiwan Semiconductor Manufacturing Co. (TSMC). Sie brauchen die EUV-Maschinen, um das Moorsche Gesetz („die Anzahl der Transistoren in Microchips verdoppelt sich alle zwei Jahre“) einzuhalten und die Computertechnologie weiterzuentwickeln. Insgesamt hat ASML 2021 einen Umsatz von 20 Milliarden US-Dollar gemacht.

ASML startete im Jahr 1984 als ein Joint-Venture zwischen dem holländischen Mischkonzern Philips und einem Elektronikhersteller namens Advanced Semiconductor Materials Int. 1991 gelang ASML mit seinem ersten Verkaufsschlager der Durchbruch und kurz danach kaufte es eine Reihe von US-Lithografiefirmen auf und bis Ende der 1990er hatte es einen mit Nikon und Canon vergleichbaren Marktanteil. In den Mitt-2000ern begann ASML große Summen in die Forschung und Entwicklung der EUV-Technologie zu investieren. ASML patentierte die EUV-Technologie im Jahr 1999 und Canon entschied sich, sie aufgrund finanzieller Probleme nicht weiter zu verfolgen, während Nikon sich dazu entschied, ältere Technologien weiterzuentwickeln. Es war jedoch ein gewaltiges Risiko: Die EUV-Lithografie machte es erforderlich, dass Samsung, Intel und TMSC ihre Produktionsfabriken vollständig umbauten und neu aufbauten. Von 2008 bis 2014 inverstierte ASML mehr als 5 Milliarden Dollar in die EUV-Forschung. Das Potential von EUV war so groß, dass Intel, Samsung und TMSC – allesamt Konkurrenten – gemeinsam 23% Anteile von ASML kauften. Intel erwarb den größten Teil: Für 2,5 Milliarden erwarb das Unternehmen rund 15% Anteile (heute haben die Firmen die meisten ihrer Anteile wieder verkauft). Die erste Produktionsfähige EUV-Maschine wurde 2016 vorgestellt.

Warum sind EUVs so teuer? ASML nimmt in der Chipindustrie eine ähnliche Rolle ein, wie Boeing in der Flugzeugindustrie (Auch Boeing verkauft Produkte für über 100 Millionen Dollar): Es ist Integrator von mehr als 4750 hochpreisigen Teilen, die von Herstellern aus der ganzen Welt geliefert werden:

  • Werkzeugtechnik (USA),
  • Chemikalien (Japan) – z.B. eine Anti-Verunreinigungs Abdeckung, die Defekte der Siliziumscheiben verhindert von Mitsui,
  • Linsen (Deutschland) – z.B. eine Hochleistungs optische Linse von Zeiss, die die EUV bündelt und lenkt.

Warum kann ASML nur rund 40 EUV-Maschinen im Jahr herstellen? Jede dieser Maschinen hat eine Fertigungszeit von 12 bis 18 Monaten, wobei folgendes geleistet werden muss:

  • Mehr als 1000 Zulieferer koordinieren (was ähnlich schwierig ist, wie in der Flugzeugherstellung)
  • Jede EUV-Maschine ist eine Spezialanfertigung (wobei aus mehr als 30 Variablen gewählt werden kann)
  • Lange Lieferzeiten – Besonders Teile wie die Linse von Zeiss hat eine Produktionszeit von 40 Wochen

Auch der Lieferprozess ist recht kompliziert:

  • Jede EUV-Maschine wiegt 180 Tonnen
  • Eine zerlegte EUV-Maschine benötigt bis zu 40 Container
  • Der Versand (vorrangig nach Asien) benötigt 20 LKW und 3 Boeing 747.
  • ASML-Teams müssen vor Ort sein, um die Maschinen zu betreiben
  • Es benötigt rund eine Milliarde Dollar, um eine EUV-Maschine anzuschaffen

2021 hat ASML 268 DUV-Maschinen und 42 EUV-Maschinen (von denen bisher insgesamt nur rund 140 verkauft wurden) geliefert – das sind rund 90 Prozent der Halbleiter-Lithografie-Industrie. ASML hat ein Auftragsbuch in Höhe von mehr als 50 Milliarden Dollar und seine größten Konkurrenten sind bei der EUV-Technologie Jahrzehnte hintendran. Unterdessen arbeitet das Unternehmen bereits an der nächsten Generation (High NA-EUV).

Da Mikrochips für beinahe alles benötigt werden (Datenzentren, Künstliche Intelligenz, Autos, Minen), können Halbleiter als das Öl des 21. Jahrhunderts betrachtet werden. Die USA haben sogar die holländischen Exporte der patentierten EUV-Technologie nach China blockiert.

Wie wäre es, wenn statt Zielen, die überall existieren einmal Ziele, die nirgendwo sonst existieren in den Mittelpunkt gerückt werden würden? Denn die Herrschaft durchdringt den Raum weder gleichmäßig, noch gleichförmig. Jede ihrer Infrastrukturen besitzt Knotenpunkte, die von besonders zentraler Bedeutung sind, während die einen Territorien stärker von dieser und die anderen stärker von jener Infrastruktur geprägt sind. Global gesehen lassen sich etwa die Hightech-Metropolen mit ihrer Forschungs-, Finanz-, Rüstungs- und Hightechproduktionsinfrastruktur von der vielmehr extraktivistisch und landwirtschaftlich ausgebeuteten Peripherie unterscheiden. Und selbst innerhalb der kapitalistischen Metropolregionen, von denen die “Überall existierenden Ziele” vorrangig zu handeln scheinen, offenbaren sich bei einem genaueren Blick ganz unterschiedliche infrastrukturelle Schwerpunkte. Während die eine Region geprägt ist, vom Braunkohleabbau und der Energiegewinnung daraus, sitzt anderswo vor allem die Computer-Hightechbranche und wieder anderswo hat die Biotechnologiebranche ihre Zelte aufgeschlagen, während Automobilindustrie und Chemiekonzerne seit beinhe einem ganzen Jahrhundert ganze Städte und Regionen nach ihren Bedürfnissen geordnet haben, Hafenstädte wichtige Handelsmetropolen bilden und manchmal einzelne Militärstandorte und sogar einzelne Funkmasten von internationaler (militärischer) Bedeutung sind. Inmitten dieses Geflechts lassen sich ganz unterschiedliche, oft einzigartige Angriffspunkte identifizieren, die der Herrschaft sehr viel mehr materiellen Schaden zuzufügen vermögen, als das die Brandstiftung an den Fahrzeugen mit den immer gleichen Aufschriften vielleicht vermag. Es mag vielleicht einen gewissen Aufwand bedeuten, sie zu identifizieren, manchmal mögen sie besser, manchmal vielleicht auch schlechter geschützt sein, als die überall existierenden Ziele, und man mag gezwungen sein, der individuellen Kreativität freien Lauf zu lassen, bei der Identifikation und Zerstörung dieser Ziele. Nichtsdestotrotz oder gerade deswegen denke ich, dass diese Ziele möglicherweise den interessanteren Ansatzpunkt im Kampf gegen die Herrschaft liefern mögen. Nicht zuletzt, weil ihnen letztlich auch eine präzisere Analyse über die Funktionsweise der Herrschaft zugrunde liegt, als das abstrakte Schreckgespenst von global tätigen Unternehmen, Polizeien und Armeen, die einfach überall gleichermaßen latent vorhanden zu sein scheinen.

Aus Ziele, die nirgendwo sonst existieren.

Übersetzung von https://actforfree.noblogs.org/post/2022/09/02/asml-semiconductor-dependency/