Zwei Brandstiftungen an Strominfrastruktur legen zwei Halbleiter-Giganten im französischen „Silicon Valley“ nachhaltig lahm
Am Dienstag, den 5. April 2022, um 1h44, bricht an den Stromkabeln unter der Brignoud-Brücke, die den Fluss Isère im Südosten Frankreichs in der Nähe von Grenoble zwischen den Orten Villard-Bonnot und Crolles überquert, ein Feuer aus. Acht 20.000-Volt-Kabel und ein 225.000-Volt-Kabel fangen Feuer. Erst im Laufe des nächsten Tages kann das Feuer vollständig gelöscht werden, die Brücke wird gesperrt.
Unter den neun Kabeln, die die Brandstifter im Visier hatten, befand sich ein 225.000-Volt-Hochspannungskabel des Stromanbieters RTE. Der Strom fiel in den Städten Crolles und Bernin aus, über 5000 Haushalte waren ohne Strom, ebenso das dort gelegene Industriegebiet, das insbesondere zwei der wichtigsten Unternehmen im Becken von Grenoble beherbergt: ST Microelectronics und Soitec, beides Hersteller von Halbleitern. Die Produktion wurde bei beiden Unternehmen, die jeweils mehrere tausend Menschen beschäftigen, mitten in der Nacht gestoppt. Denn während beide Fabriken in der Lage sind mit kurzen Stromausfällen umzugehen, ist die Notstromversorgung bei einem Ausfall von mehreren Stunden nicht ausreichend.
So kam es auch bei STMicroelectronics zu einem Stromausfall. Für dieses Unternehmen war es bereits der zweite Angriff innerhalb von zwei Tagen. In der Nacht von Sonntag auf Montag waren 225.000-Volt-Kabel eines Umspannwerks in Froges angezündet worden, es wurden Tags gefunden, die STMicroelectronics als Ziel benennen, da es „zu viel Strom verbrauche“, und ein „Anarchiesymbol“. Unbekannte waren in das Gelände eingedrungen und hatten gezielt an Hochspannungskabeln Feuer gelegt, die das Umspannwerk unterirdisch über drei Kilometer mit der Trafostation von STMicroelectronics in Crolles verbinden. Der Schaden sei hoch und die Notstromversorgung bei STMicroelectronics sei angesprungen, es sei jedoch nicht zu einem Stromausfall gekommen.
Nun, spätestens nach dem Brand unter der Brücke steht die Produktion still, bei STMicroelectronics wie bei Soitec. Und das nicht nur einige Stunden, wie Sprecher beider Unternehmen zuerst versicherten, sondern deutlich länger. „Beide Unternehmen konnten wieder starten, aber nur in eingeschränktem Modus, denn abgesehen von den Produktionsverlusten, über die wir wohl später noch sprechen müssen, wissen wir, dass dieser Sektor über Maschinen verfügt, die unpassende Stromausfälle überhaupt nicht mögen“, erklärt der gewählte Vizepräsident für den wirtschaftlichen Aufschwung des Grésivaudan, Jean-François Clappaz. Die weißen Hallen, die gemeinhin im Produktionsprozess der Halbleiter-Industrie verwendet werden, sind insbesondere von Ventilations-Filter-Systemen und von verschiedenen Sensoren (Temperatur, Feuchtigkeit, etc.) abhängig, die sicherstellen sollen, dass es eine äußerst geringe Konzentration von Partikeln und Staub in der Luft gibt. Da aufgrund des Ausfalls der Ventilationssysteme Staub in die weißen Hallen eindringen konnte, müssen diese nun geputzt werden. Außerdem müssen alle Sensoren beim Hochfahren neu kalibriert werden. Doch nicht nur das, auch alle Maschinen zur Produktion müssen inspiziert und teilweise repariert werden, außerdem erfordert ihr Wiederanwerfen eine Neuprogrammierung. Immerhin geht es hier um darum ein hohes Qualitätsniveau verbunden mit einer schnelle Produktion im Nanometer-Bereich sicherzustellen.
Die Stromversorgung konnte bereits im Laufe des Folgetags nach dem Brand wiederhergestellt werden, doch Sicherheitsprotokolle beider Unternehmen verlangten die vollständige Evakuierung des Produktionspersonals, sowie die technischen Anlagen (Energie, Gas, chemische Produkte,…) in Sicherheit zu bringen. Stück für Stück wird nun alles wieder hochgefahren. Was Tage bis hin zu Wochen dauern wird. Alle Arbeiter wurden bei Soitec „dazu mobilisiert den Zustand der Maschinen zu überprüfen, die durchgebrannten Platinen und die beschädigten Gelenke auszutauschen“, erläutert der operationale Direktor Cyril Menon. „Alle Produktionsposten werden überprüft und die Produktion wird Stück für Stück wieder aufgenommen.“
Normalerweise laufen die Produktionslinien 24/7, das Halbleiter-Geschäft boomt. Noch nie hat es eine solche Knappheit an Halbleitern gegeben, die insbesondere die Automobilindustrie hart trifft. STMicroelectronics plant eigentlich seine Produktionskapazitäten in diesem Jahr um 15 bis 20 % zu steigern, nachdem es sie letztes Jahr bereits um 25 % gesteigert hatte. Crolles ist dabei der wichtigste Standort von STMicroelectronics in Europa mit mehr als 4 300 Beschäftigten. Die Besonderheit des Herstellungsprozesses von Halbleitern sind die extrem hohen Kosten des Produktions-Equipments (die kleinste Maschine kostet bereits mehrere Millionen Dollar), sodass die Produktion nie stehen bleiben darf. Die Herstellung von Halbleitern ist extrem energiefressend. Die Fabrik in Crolles verfügt über eine Leistung von 25 MW. Die Fabrik von Soitec in Bernin ist mit 1 600 Angestellten und einer Leistung von circa 10 MW bescheidener.
Dieser Vorfall stellt die Frage nach der Versorgungssicherheit der sensiblen Industriestandorte, wie die der Halbleiter, wo Stromausfälle bedeutende Schäden verursachen können, ja gar gewichtige Industrieunfälle, und wo die Fabriken nicht so schnell wieder zum Laufen gebracht werden können. „Die Anlage ist sehr geschützt“, erklärt Soitec-Vizechef Thomas Piliszczuk, „aber wenn etwas außerhalb des Geländes passiert, wird das deutlich komplizierter. […] Wir machen uns Sorgen zu sehen, dass die Halbleiter-Industrie die Zielscheibe von Angriffen werden kann. Die Vorfälle der beiden letzten Tage haben außerhalb der Unternehmen stattgefunden. Jeder erkennt, dass wir eine strategische Industrie für das Land sind, aber man sieht, dass heute Angriffe diese Industrie ins Visier nehmen können…“ „Diese Episode fördert einen Schwachpunkt zutage“, erkennt auch Cyril Menon. „Die Redundanz der Stromversorgungsquellen hat nicht ausgereicht um uns zu schützen, da die Missetäter alle Stromversorgungskabel erwischt haben. Unsere Partner Enedis und RTE sowie die öffentlichen Kommunen haben die notwendigen Maßnahmen ergriffen, damit sich dieses Problem nicht wiederholt.“
„Auch wenn das gesamte Ausmaß des Schadens noch nicht bekannt ist, könnte er im höheren zweistelligen Millionenbereich liegen“, vermutet der Staatsanwalt von Grenoble, Eric Vaillaint. Der Brand hat auch bereits Auswirkungen auf den Börsenkurs beider Unternehmen gehabt, die in diesen ersten Tagen nach dem Anschlag um mehrere Prozentpunkte fielen.
Übrigens fiel auch die Schule am Dienstag für viele Schüler aus, da die Schulbusse die Brücke nicht passieren durften. Auch viele Menschen, die auf der anderen Flussseite arbeiteten, konnten nicht zur Arbeit gelangen.
Anmerkung
Soitec ist ein Unternehmen, das Halbleiter-Materialien entwirft und produziert, die für die Herstellung von Chips benötigt werden, die in Smartphones, Tablets, Computern, Servern und Rechenzentren verbaut werden.
STMicroelectronics ist einer der weltgrößten Hersteller von elektronischen Teilen und insbesondere von Halbleitern (Elektrochips), die insbesondere für die Kriegsindustrie, die Automobilindustrie, die Kommunikation (5G, Cloud), für die Verwaltung von Energie und verbundener Objekte von Bedeutung sind.
Synthese aus unterschiedlichen Presseartikeln der französischen Presse, gefunden bei Sans Nom (hier, hier und hier).